Grenzgängerin: ›KAPITALISMEN‹

Ausgabe 3 | Frühling 2021

Grenzgängerin Nr. 3 – ›KAPITALISMEN‹

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Aus der Einleitung zum Schwerpunkt der Ausgabe:

Für die Gesellschaftskritik ist die Rede vom Kapitalismus geradezu unerlässlich. Wer die Verhältnisse, wie sie sich darstellen, nicht einfach als (natur)gegeben oder unvermeidlich hinnehmen möchte, muss Ungleichheit und Elend, Ursachen, objektivierte versachlichte Verhältnisse, in denen sie sich reproduzieren ebenso wie Angriffspunkte, Widersprüche und Dynamiken  zuschreiben können, die letztlich über die historisch irgendwann etablierten Verhältnisse hinausweisen. Schuldig gesprochen wird von links in einer bisweilen stereotypen Selbstverständlichkeit der Kapitalismus. Er erscheint dabei nicht etwa wie ein komplexes gesellschaftliches Verhältnis, das die bürgerliche Gesellschaft nicht vollends abbildet, sondern wie ein Subjekt, eine Instanz oder gar dunkle Macht. Und wenn nicht direkt, so doch zumindest indirekt, werden mit einem religiös anmutenden Schuldmotiv Antriebe ausgemacht, die sich dieser Wirtschaftsweise verdanken, oder die sie zu ihrem Antrieb benötigt und auch kulturell duldet und debattiert, indem sie in ›Gier‹, ›Rücksichtslosigkeit‹ oder ›Verantwortungslosigkeit‹, immer auch Faustische Leidenschaft, die Suche nach Entgrenzung und Neuem fantasiert und damit der Zerstörung von Natur und Mensch, Metaphern von Beherrschung, Überwindung des Gestrigen etc. anheftet. Die liberale Verteidigung fährt dagegen typischerweise mindestens zwei argumentative Geschütze auf. Zum einen sei die Zuschreibung falsch, denn ›den‹ Kapitalismus schlechthin treffe die Kritik nicht. Zum anderen: Selbst wenn Teile der Kritik typische Motivationen kapitalistischen Wirtschaftens tatsächlich treffen, gäbe es schlechterdings keine Alternative dazu. Nur die Anleitung durch das Profitmotiv garantiere eine maximal effiziente und effektive Allokation der Ressourcen, sei der wahre Treibstoff für technologische Innovationen, das habe uns das Scheitern des planwirtschaftlichen Sozialismus schließlich gelehrt. An diesen liberalen Antikritiken ist durchaus etwas dran, und zwar umso mehr, je undifferenziert-flacher die linke Anklage und der oft naive Rekurs auf die staatssozialistische Planwirtschaft ausfallen. Und doch ist die liberale Verteidigung  nicht das letzte Wort und manchen Mythen, wie der von der Innovationsfreudigkeit kapitalistischer Profitmacherei, halten einfachster Analyse realer stofflicher und intellektueller Ressourcenverschleuderung nicht stand.

Dass die Welt in Vielem gleich, aber in ebenso Vielem doch unterschiedlich von der Corona-Pandemie getroffen wurde, verweist aus unserer Sicht auf noch unerschlossenes Potential, die Kapitalismen in ihrer Vielfalt zu begreifen. Diese erschließt sich aus unserer Sicht anhand von mindestens vier Gesichtspunkten, die allesamt in den Essays im Fokus dieser Ausgabe angesprochen werden. Wie dies wiederum aus einer Vielfalt von theoretischen und erfahrungsbezogenen Perspektiven geschieht, unterstreicht für uns noch zusätzlich das Sprechen in der Mehrzahl.

 

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Alban Werner ist Politikwissenschaftler aus Aachen und Mitherausgeber von Grenzgängerin.

ist Kulturwissenschaftlerin und Mitherausgeberin von Grenzgängerin.